Die Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern kommunaler Unternehmen steht seit jeher in einem Spannungsverhältnis zur Berichtspflicht gegenüber den kommunalen Vertretungsorganen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 18. September 2024 stellt nun eine bedeutende Weichenstellung dar, die das öffentliche Interesse an Transparenz und demokratischer Kontrolle stärkt.
1. Wesentliche Inhalte der BVerwG-Entscheidung
Im konkreten Fall hatten Fraktionen des Stadtrats Mönchengladbach vom Oberbürgermeister Einsicht in Unterlagen einer Aufsichtsratssitzung einer Aktiengesellschaft (X-AG) gefordert, an der die Stadt mittelbar beteiligt ist. Der Oberbürgermeister, selbst Mitglied dieses Aufsichtsrats, verweigerte die Einsicht mit Verweis auf seine gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht.
Das Bundesverwaltungsgericht entschied zugunsten der klagenden Fraktionen und stellte klar, dass die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 394 Satz 1 Aktiengesetz (AktG) für Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt wurden, nicht gelte, wenn sie ihrer gesetzlichen Berichtspflicht gegenüber der entsendenden Gebietskörperschaft nachkommen.
Vorrang des öffentlichen Interesses an demokratischer Kontrolle
Auch bei Beteiligungen an privaten Unternehmensformen unterliege die öffentliche Hand demokratischer Kontrolle. Dafür sei es notwendig, dass dem zuständigen Kontrollorgan die notwendigen Information zur Verfügung gestellt würden. Dahinter müsse die (gesellschaftsrechtliche) Verschwiegenheitspflicht zurücktreten.
Keine allgemeine Lockerung der Verschwiegenheitspflicht
Nach dem Urteil des BVerwG kann ein entsprechendes Informationsbegehren seitens einer Ratsfraktion somit nicht vollständig unter Hinweis auf fehlende Vertraulichkeit bei Informationsweitergabe an den Stadtrat abgelehnt werden. Das BVerwG betont allerdings auch, dass die §§ 394 f. AktG nicht eine allgemeine Lockerung von Verschwiegenheitspflichten vorsehen. Vielmehr würden auch die Empfänger von Berichten im Sinne der §§ 394 f. AktG zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine Kommune und insbesondere die Gemeindevertretung müsste diese Verschwiegenheit selbst organisieren, etwa durch Verpflichtungen zur Verschwiegenheit der Ratsmitglieder, durch Beschränkung der betreffenden Information auf wesentliche, unkritische Inhalte sowie schließlich durch Behandlung in kleinen, vertraulichen Gremien, z. B. in Ausschüssen und in nicht-öffentlicher Sitzung.
2. Fazit
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stärkt die Transparenz und demokratische Kontrolle in kommunalen Beteiligungen. Es ermöglicht kommunalen Vertretern in Aufsichtsräten, wichtige Informationen an den Rat weiterzugeben, ohne gegen gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflichten zu verstoßen. Damit wird die effektive Beteiligungsverwaltung und -prüfung im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung gefördert.
3. Auswirkungen auf die Praxis
Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses Urteil auf die Praxis der Zusammenarbeit zwischen Kommunen und ihren Beteiligungsunternehmen auswirken wird. Gesellschafts- und kommunalrechtliche Fragestellungen ergeben sich unter anderem zur Übertragbarkeit der Grundsätze dieses zu einer Aktiengesellschaft ergangenen Urteils auf den fakultativen Aufsichtsrat der GmbH als weit überwiegender Rechtsform im kommunalen Bereich. Kommunale Vertreter in den Aufsichtsgremien von GmbHs können vergleichbaren Berichtspflichten unterliegen. Es ist daher wichtig, die spezifischen gesetzlichen Bestimmungen und Satzungen der jeweiligen GmbH zu prüfen, um die genauen Pflichten und Rechte der jeweiligen kommunalen Vertreter zu bestimmen.
Zu beachten bleibt auch § 394 S. 2 AktG, wonach das Recht zur Offenlegung nicht gilt, wenn vertrauliche Angaben oder Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse betroffen sind, deren Kenntnis für die Zwecke des Berichts nicht von Bedeutung ist. Ob und inwieweit Berichtspflichten tatsächlich bestehen und kommunale Aufsichtsratsvertreter von Vertraulichkeitspflichten entbunden sind, bleibt daher jedenfalls eine gerichtlich überprüfbare Rechtsfrage, die das betreffende Aufsichtsratsmitglied eigenverantwortlich zu beantworten hat. Vor dem Hintergrund der damit verbundenen haftungs- und strafrechtlichen Risiken sind die Kommunen bzw. deren Mandatsträger trotz der aktuellen Entscheidung des BVerwG gut beraten, Auskunftserteilungen auch zukünftig restriktiv zu handhaben bzw. diese im Vorfeld rechtlich abzusichern.
Ansprechpartner: Rechtsanwalt Peter Pichl