Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat heute die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Hintergrund ist, dass Russland angekündigt hat, die Bezahlung der Gasimporte nur noch in Rubel zu akzeptieren. Die G7-Staaten haben in einer gemeinsamen Erklärung am 28.03.2022 aus Gründen der Vertragstreue die Bezahlung in Rubel abgelehnt. Die russische Regierung hat dennoch in den vergangenen Tagen in mehreren Äußerungen deutlich gemacht, Zahlungen nur in Rubel zu akzeptieren und gedroht, ohne Rubel-Zahlungen die Gaslieferungen zu stoppen.

Um auf mögliche Liefereinschränkungen oder -ausfälle vorbereitet zu sein, hat das BMWK deshalb heute die Frühwarnstufe nach Art. 11 der EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung ausgerufen und das Krisenteam Gas einberufen. Damit wird die aktuelle Situation im Gasnetz engmaschig beobachtet und bewertet.

Doch was ist der Notfallplan Gas uns was bedeutet die Frühwarnstufe?

Der „Notfallplan Gas“ basiert auf der sogenannten europäischen SoS-Verordnung, d.h. konkret der Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung. Er regelt die Gasversorgung in Deutschland in einer Krisensituation. Die aktuelle Fassung des „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“ datiert auf September 2019 und wurde auf der Grundlage der europäischen SoS-Verordnung erstellt. Im dem 37-seitigen Papier sind Zuständigkeiten der Gasversorger, Netzbetreiber und Behörden sowie die Einrichtung der Krisenstäbe beschrieben.

Der Notfallplan Gas kennt drei Eskalationsstufen – die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe. Die Frühwarnstufe ist gem. Art. 11 Abs. 1 der europäischen SoS-Verordnung dann auszurufen, wenn es konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf gibt, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- bzw. der Notfallstufe führt.

Notfallstufe als letzte Eskalationsstufe

Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ruft Frühwarnstufe des Notfallplans Gas aus –

Während in der Frühwarn- und Alarmstufe die verantwortlichen vor allem über marktbezogenen Maßnahmen, wie bspw. vertraglich vereinbarte Abschaltungen greifen, kommt es in der Notfallstufe zu Abschaltungen von Kunden. Geschützt sind hier nur die sog. „geschützten Kunden“, die in § 53a EnWG definiert sind.  Zu den geschützten Kunden bei einer Gasmangellage zählen Haushalte, kleinere Gewerbekunden und Fernwärmeanlagen sowie Unternehmen, die wesentliche soziale Dienste erbringen. Was ein solcher „wesentlicher sozialer Dienst“, ergibt sich durch einen Verweis im EnWG auf Art 2 Nr. 4 der SoS-Vo . Demnach ist dies ein „Dienst in den Bereichen Gesundheitsversorgung, grundlegende soziale Versorgung, Notfall, Sicherheit, Bildung oder öffentliche Verwaltung“. Etwas konkreter wird der Gesetzgeber nur in der Gesetzesbegründung zu § 53a EnWG. Hier heißt es: „Hierunter fallen nachfolgende Einrichtungen, in denen Menschen vorübergehend oder dauerhaft stationär behandelt werden oder leben und diese nicht ohne Weiteres verlassen können sowie Einrichtungen, die hoheitliche Aufgaben zur öffentlichen Sicherheit zu erfüllen haben: Krankenhäuser und Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen gemäß § 107 SGB V, stationäre Pflegeeinrichtungen gemäß § 71 Absatz 2 SGB XI, stationäre Hospize gemäß § 39a Absatz 1 SGB V, Ein-richtungen zur Pflege und Betreuung behinderter Menschen gemäß § 71 Absatz 4 SGB XI, Justizvollzugsanstalten gemäß § 139 StVollzG, sowie z. B. Feuerwehr, Polizei und Bundeswehreinrichtungen.“

Diese Art von Kunden bzw. Abnehmern bleiben bei eventuellen Abschaltungen also zunächst außen vor. Für den Rest – größere Gewerbekunden und die Industrie – fehlt trotz jahrelanger Diskussionen noch immer eine gesetzlich geregelte Abschaltreihenfolge. Das heißt, wann die Lebensmittelindustrie, ein Reifenhersteller oder ein Vorlieferant für Medizinprodukte weniger oder gar kein Gas mehr erhält, ist nicht im Notfallplan beschrieben.

Voraussetzung und Folgen ersten und zweiten Stufe  

Für die Ausrufung der ersten Krisenstufe sind „konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise“ erforderlich, dass es zu einer „erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage“ kommen könnte. Bei der Alarmstufe liegt bereits eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor. Der Markt ist hier aber noch in der Lage, diese Störung selbst mit eigenen Maßnahmen in den Griff zu bekommen. In der dritten und letzten Stufe kommt es zu „nicht marktbasierten Maßnahmen“, um insbesondere die Gasversorgung der geschützten Kunden sicherzustellen. Das ist nun mit der Ausrufung des BMWK geschehen.

In der Frühwarnstufe sind insbesondere die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) gefragt. Sie geben in Abstimmung mit dem Marktgebietsverantwortlichen mindestens einmal täglich Lageeinschätzungen an das Ministerium heraus. Auch startet in der Frühwarnstufe bereits die Arbeit im eigens eingerichteten Krisenteam. Ständige Mitglieder sind dort die FNB, Trading Hub Europe als Verantwortlicher für das deutsche Gasmarktgebiet sowie die Bundesnetzagentur. Den Vorsitz übernimmt das Bundeswirtschaftsministerium oder die Regulierungsbehörde als Stellvertreter. Bei lokaler Betroffenheit sind Bundesländer oder einzelne Verteilnetzbetreiber zugegen. Als nicht ständige Mitglieder kann der Vorsitzende Vertreter der Gasspeicherbranche Versorger und Verbraucher (DVGW, BDEW, VZBV, DIHK) einladen. Auch die Stromnetzbetreiber dürfen auf Einladung hinzustoßen.

Für die Ausrufung der Alarmstufe sind gravierende Gasreduzierungen nötig, darunter beispielsweise der Ausfall wichtiger Aufkommensquellen. Die Abläufe bleiben hier noch ähnlich, die EU-Kommission wird unterrichtet. Erst in der letzten Stufe treten die Bundesnetzagentur und die Bundesländer als hoheitlicher Lastverteiler auf. In dem Fall reichen Maßnahmen nach § 16 Abs. 1 EnWG nicht mehr aus. Regelenergie ist nicht mehr ausreichend verfügbar und der Regelenergiehandel wird deshalb ausgesetzt. Die betroffenen Gasversorger müssen jetzt täglich Prognosen und Lastflussdaten gemäß der SoS-Verordnung zur Verfügung stellen. Die Bundesnetzagentur darf beispielsweise höhere Ausspeicherungen aus Gasspeichern anordnen, sowie Verbrauchreduktionen oder Abschaltungen der Industriekunden. Auch die Substitution von Erdgas durch andere Brennstoffe und die Einschränkung der grenzüberschreitenden Gasflüsse sind in dieser Krisenstufe möglich.

 

Ansprechpartnerin: Sarah Schweizer