Berlin (energate) – Durch den Krieg in der Ukraine klettern die Energiepreise in schwindelerregende Höhen. Die Grundversorger müssen sich auf eine erneute Insolvenzwelle von Energiediscountern einstellen. Und der Gesetzgeber? Schaut vom Spielfeldrand aus zu, wie die Grundversorger landauf landab vor Gericht dafür kämpfen müssen, dass die Sicherstellung der Versorgungspflicht nicht zur wirtschaftlichen Existenzfrage wird.
Ein Kommentar von Sarah Schweizer, Rechtsanwältin und Partnerin BW Schweizer & Kollegen.
Versetzen wir uns für einen Moment zurück in den Dezember 2021: Die Strom- und die Gaspreise am Spotmarkt steigen auf ein Allzeithoch von rund 200 €/MWh – einer Vervielfachung der bisherigen Preise. Die Folge war eine regelrechte Pleitewelle von rund 40 Energiediscountern im Jahr 2021. Allein von den Liefereinstellung von gas.de und stromio waren nach Branchenschätzungen mindestens 1 bis 2 Millionen Kunden betroffen. Einzelne Zeitungen formulierten es so: „Die Versorger machen sich aus dem Staub“. Kein Problem, der Markt wird’s schon richten? Von wegen. Während der Preiskampf im Energiebereich sonst mit oft harten Bandagen an der Grenze des rechtlich zulässigen (und häufig darüber hinaus) geführt wird, hieß es nun auf zahlreichen Seiten der Energielieferanten „Strom – und Gasangebot für Neukunden derzeit ausgesetzt“.
Energiekrise verschärft sich von Tag zu Tag
Nachdem sich die Preise dann Anfang des Jahres kurzzeitig auf hohem Niveau stabilisiert hatten, spitzt sich europaweite Energiekrise mit dem rechtswidrigen Einmarsch von Russland in die Ukraine nun in einem ungeahnten Ausmaß weiter zu. Die Gaspreise am Sportmarkt haben sich nochmal verdoppelt –aktuell werden zeitweise bis zu 400 €/MWh aufgerufen. Diskutiert werden weitere Energiesanktionen gegen Russland, auch ein Importstopp von russischem Öl, Gas oder Kohle ist nicht mehr auszuschließen – ob von Seiten der EU oder als Vergeltungsmaßnahme von Seiten Russlands. Klar ist jedenfalls eines: Die Energiekosten werden weiter steigen. Die Energieversorger müssen deshalb bereits an Konzepten für Abschaltszenarien arbeiten, um die Versorgungssicherheit in der Fläche weiterhin sicherstellen zu können. Vor allem aber ist mit weiteren Pleitewellen und Liefereinstellungen von Strom- und Gaslieferanten zu rechnen.
Stadtwerke als Brandlöscher im Einsatz
Zwischen den Energieverbrauchern und einer Sperrung des Anschlusses mangels Bilanzkreiszuordnung stehen dann wieder nur noch die hiesigen Stadtwerke, die vielerorts als Grundversorger über die Ersatzversorgung nach § 38 EnWG gesetzlich verpflichtet sind, die Versorgung von Haushaltskunden in ihrem Grundversorgungsgebiet sicherzustellen. Damit müssen die Stadtwerke in der aktuellen Situation nun auch das allzu oft „auf Kante genähte“ Geschäftsmodell der Energiediscounter auffangen. Im Dezember 2021 fielen über Nacht – je nach Versorgungsgebiet – tausende von Neukunden in die Ersatzversorgung einzelner Grundversorger. Hierfür musste dann sehr kurzfristig nach vorläufig prognostizierten Abnahmemengen zu nahezu stündlich weiter steigenden Preisen Energiemengen für einen unklaren Versorgungszeitraum beschafft werden. Doch wer trägt die Kosten für diesen Feuerwehreinsatz? Ausgangspunkt der in § 38 EnWG geregelten Ersatzversorgung ist die Vorgabe, dass die Ersatzversorgungstarife für Haushaltskunden nicht höher als die Tarife in der Grundversorgung sein dürfen. Diese Bestandskundentarife hätten allerdings nach § 5 Abs. 2 Strom/GasGVV nur mit einem Vorlauf von sechs Wochen zum Monatsbeginn – was in der Praxis üblicherweise einem Vorlauf von mehreren Monaten entspricht – angepasst werden können. Mit dem Nebeneffekt, dass die Bestandskunden in der Grundversorgung – oft schutzwürdige Kunden mit schlechter Bonität, die keine Wechselmöglichkeiten haben – völlig unverschuldet mit den erheblichen Kosten dieser Turbulenzen belastet werden. Denn insoweit wurden die Strom- und Gasmengen in der Regel langfristig beschafft und gesichert. Die Alternative „keine Kostenweitergabe“ war und ist aber regelmäßig keine echte Alternative, da dies die Stadtwerke selbst in eine wirtschaftliche Schieflage bringen kann – das Schicksal der Stadtwerke Bad Belzig dürfte bekannt sein. Einige Grundversorger entschieden sich daher, „zum letzten Mittel“ zu greifen und lehnten die Aufnahme von Neukunden in der Grundversorgung wegen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit ab (§ 36 Abs. 1 EnWG). Andere wiederum versuchen sich die Mehrkosten von den eigentlichen Verursachern – den Energiediscountern – auf dem Klageweg wieder zu holen.
Einführung von Tarifspaltungen in der Grundversorgung
Zahlreiche Grundversorger entschieden sich hingegen dazu, Neukundentarife in der Grund- und Ersatzversorgung einzuführen, um einerseits die Versorgung der Neukunden sicherzustellen und andererseits die Versorgung ihrer Bestandskunden nicht zu gefährden. Ob dies zulässig ist, ist rechtlich umstritten. Die Mehrheit der hierzu nun geführten streitigen Eilrechtsverfahren sagt: Eine solche Tarifspaltung ist zulässig. So zumindest erstinstanzlich das LG Berlin (Urteil vom 25.01.2022, Az.: 92 O 1/22 Kart), das LG Köln (Beschluss vom 08.02.2022, Az. 31 O 14/22), das LG Leipzig (Beschluss vom 01.02.2022, Az. 01 HK O 167/22 EV), das LG Dortmund (Beschluss vom 02.03.2022; Az.: 10 O 11/22 [EnW]) und erfreulicherweise nun auch zweitinstanzlich, das OLG Köln (Beschluss vom 02.03.2022; Az.: 6 W 10/22). Dabei sehen die Gerichte sehr klar, wozu der Gesetzgeber sich leider ausschweigt: Neukunden müssen auch in der Grundversorgung die Preise zahlen, die zum Zeitpunkt des Beginns der Versorgung aufgrund der für sie aufgewendeten Beschaffungskosten angemessen sind (so das OLG Köln). Und: Zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit gehört auch ein ökonomischer Aspekt, da die Versorgungssicherheit letztlich nur durch das Erwirtschaften von auskömmlichen Versorgungsentgelten sichergestellt werden kann (so das LG Dortmund). Deshalb muss eine Tarifspaltung – die bereits durch den BGH mit Urteil vom 13. April 2021, VIII ZR 277/19 grundsätzlich für zulässig erachtet wurde – auch in Form einer zeitlichen Staffelung zulässig sein. Zumindest wenn diese aus sachlichem Grund, und ein solcher stellt die beschriebene Energiekrise aus Sicht der zitierten Gerichte dar, geschieht.
Und was sagt der Gesetzgeber dazu?
Anstatt nun beherzt zu handeln und vor dem absehbaren nächsten großen Lieferanten-Ausfall rechtliche Klarheit zu schaffen, bleibt der Gesetzgeber jedoch seltsam stumm. Es scheint so, als sehe er mit der vorzeitigen Abschaffung der EEG-Umlage alles Erforderliche getan, um die Energiekrise im Haushaltskundensegment in den Griff zu bekommen. Das „Osterpaket“, das nun vor allem als neuerliche EEG-Novelle eilig auf den Weg gebracht wurde, schweigt sich jedenfalls zur Frage der verlässlichen Rahmenbedingungen der Grundversorger in dieser europaweiten Energiekrise vollständig aus. Dabei geht es jetzt nicht mehr nur um die Sicherstellung der Versorgung, sondern auch um die Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der Versorger. Die Grundversorger in dieser für alle angespannten, überhitzen und unsicheren Lage allein sich selbst und der eigenen rechtlichen Risikobereitschaft und den individuellen finanziellen Handlungsspielräumen zu überlassen, kann jedenfalls nicht der richtige Weg sein. Die Gerichtsverfahren werden sich, zumindest im Hauptsacheverfahren, möglicherweise noch über Jahre hinziehen. Was jetzt nötig ist, sind verlässliche Rahmenbedingungen für die Grundversorger, um kurzfristig zu agieren und die Versorgung für Bestands- und Neukunden gleichermaßen sicherstellen zu können. Richtig wäre es deshalb, dass jetzt kurzfristig die überholte Bindung der Ersatzkundentarife an die Grundversorgungstarife aufgehoben und so den Grundversorgern ein effektives Instrument an die Hand gegeben wird, um die Turbulenzen am Energiemarkt für alle Beteiligten bestmöglich abzufedern. Das ist vor allem im Sinne der Strom- und Gaskunden, die sich auf eine zuverlässige Energieversorgung verlassen können müssen.
Viel Zeit bleibt hierfür nicht mehr.
Ansprechpartnerin: Sarah Schweizer